Sabine Meyer und Alliage Quintett 2025

Rezension des Konzertes von Stefan Pohlit aus der Rheinpfalz vom 15.12.2025

Ein denkwürdiges Abschiedskonzert am 13.12.2025

Hier der Text der Rezension mit besserer Lesbarkeit:

Kultur Regional

Abschied einer Legende

Unter dem Motto „Winterzauber“ haben Sabine Meyer und das Alliage Quintett im ausverkauften Freinsheimer Von-Busch-Hof ein weihnachtliches Programm mit Jazz-Elementen von Bach bis in die Moderne gespielt. Es war der letzte Auftritt der berühmten Klarinettistin auf deutschem Boden.

Von Stefan Pohlit

Die „Grande Dame“ der Klarinette kommt gerne nach Freinsheim. Das familiäre Milieu im Von-Busch-Hof, erklärte Sabine Meyer, erlaube es ihr und ihren kammermusikalischen Partnern, ungestört zu proben. Wenn es sich ergebe, besuche man auch örtliche Weingüter. Nach ihrem allerletzten Auftritt an diesem Montag in Bern sei „wirklich Schluss“. Dieser Moment, bereits im Januar öffentlich verkündet, stehe eben eines Tages bevor. Sie freue sich darauf, von nun an häufiger im Publikum zu sitzen.

Erfolg auf der

ganzen WeltSeit Jahrzehnten wird die Klarinette als Soloinstrument mit ihrem Namen verknüpft. Sowohl ihr Vater Karl Meyer als auch ihr 2019 verstorbener Bruder Wolfgang Meyer sind als Klarinettisten hervorgetreten. Ihr Ehemann Rainer Wehle unterrichtete das Instrument – wie sie – mit einer Professur an der Musikhochschule Lübeck. Geboren in Crailsheim, wurde Sabine Meyer mit 14 Jahren in die Klasse von Otto Hermann an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart aufgenommen, anschließend studierte sie bei Hans Deinzer in Hannover. Nach einem Engagement beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks holte Herbert von Karajan sie 1982 als 2. Soloklarinettistin zu den Berliner Philharmonikern – ein Schritt von historischer Tragweite. Sabine Meyer war erst die zweite Frau, die dem Orchester in dessen Geschichte beitrat. Der Widerstand des Kollegiums gegen ihre Anstellung wird heute generell mit ihrem Geschlecht begründet und führte zu nachhaltigen Verstimmungen zwischen dem Dirigenten und seinem Klangkörper.

Auf diese Weise (man will sagen: zum Glück) konzentrierte sich die heute 66-Jährige von 1983 an auf ihre solistischen Ambitionen. Popularität erlangte sie mit ihren Mozart-Interpretationen, namentlich mit dem Klarinettenkonzert in A-Dur. Während Wolfgang Amadeus Mozart die Klarinette nachweislich in all ihren Varianten geschätzt hat, musste sich das Instrument bis zur Ära Meyer lange im Schatten von Violine, Viola und Cello behaupten – mit dem Ruf, nicht ganz so „seriös“ zu sein. In dieser Hinsicht hat Meyers internationaler Erfolg – angetrieben durch ihre Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Orchestern der Welt, durch zahlreiche Tonträger nebst Auftritten in Funk und Fernsehen – nicht zuletzt das Ansehen der Klarinette selbst befördert.

In Freinsheim feierte die vielfach ausgezeichnete Klarinettistin ihren Abschied nicht mit Pauken und Trompeten, sondern zurückhaltend, im intimen Rahmen einer Spezialformation. Zuletzt betätigte sie sich primär in Kammerbesetzungen. Mit dem Alliage Quintett hat sie schon 2016 die CD „Fantasia“ eingespielt. Das Ensemble ist vorzüglich. Als zweifache „Echo Klassik“-Preisträger haben sie das traditionelle Saxofon-Quartett um ein Klavier erweitert und damit einen ungewöhnlichen Klangkörper geschaffen. Der gebürtige Kanadier Daniel Gauthier am Sopran-Saxofon darf mit einigem Recht als männliches Pendant zu Sabine Meyer gelten – eine Galionsfigur seines Metiers, den die Hochschule für Musik Detmold 1997 zum deutschlandweit ersten Professor für klassisches Saxofon ausrief. Im Großen und Ganzen betrachtet, vollzog sich das Konzert mit ihm am Steuer und Sabine Meyer als prominenter „Beifahrerin“. Rund um die Weihnachtsthematik reihten sich Stücke mit einem Hang zum Volks- und zum Kinderlied, ergänzt durch kurze Texteinschübe von fiktiven „Briefen an den Weihnachtsmann“ bis hin zu Rilkescher Lyrik, die die Akteurinnen und Akteure – mitunter humoristisch – einzeln vortrugen.

Die Ouvertüre zu Engelbert Humperdincks Weihnachtsoper „Hänsel und Gretel“ (in Andreas Hilners Bearbeitung) wurde mit einer schlicht entwaffnenden Liebe zum Detail entfaltet. Mit der Diskretion der alten Orchestrationsschulen verschmolz die (wahrscheinlich) entscheidende „Zutat“ zu diesem Instrumentarium – das Klavier – mit dem Bläserklang in eine dichte Symphonik. Die auf Kammermusik spezialisierte Pianistin Jang Eun Bae hat das Zusammenspiel mit den Saxofonen zu einer völlig eigenartigen Kunst erhoben. Das Resultat ist eine schäumenden Resonanz von „pizzicato“ bis „non legato“, die den weichen Belcanto des Ensembles stützt, ohne sich aufzudrängen. Zart und beweglich, fast flötend, breitete Sabine Meyer innerhalb des „Tuttis“ der vier Saxofone feinmaschige Strukturen aus – mit einem Effekt, als werde sporadisch eine Lupe vor die Bühne gehalten.

Entsprechend ihrer gängigen Besetzung für zwei Violinen und Klavier, erklangen Schostakowitschs „Fünf Stücke“ (in der Bearbeitung eines Freundes des Komponisten, Levon Atovmian) als Duos mit Klavier – ein willkommener Kniff, weil die Gruppe auf diesem Weg in ihre Bestandteile zerfiel und so jeweils andere Kombinationen enthüllte. Das tendenziell französische Farbspektrum adoptierte hierauf Elemente des Jazz in Felix Mendelssohn Bartholdys „Hört, die Engelschöre singen“, das heißt, in Sebastian Pottmeiers Arrangement für Saxofonquartett. Höhepunkt vor der Pause waren die „Variationen über ,Morgen kommt der Weihnachtsmann’“, eine Originalkomposition des 1977 geborenen Cyrill Lehn aus Paris. Sie räumte der Klarinette viel Platz zum Modulieren, der Pianistin sowie Miguel Vallés Mateu am Alt-, Simon Hanrath am Tenor- und Sebastian Pottmeier am Baritonsaxofon verdiente Soli ein.

Bekannte Melodien und

reizvolle VerfremdungenDer zweite Teil stand mehr im Zeichen von „Evergreens“ der Klassik. Andreas Hilners Bearbeitung von Tschaikowskys „Blumenwalzer“ bündelte einerseits die Saxofone wie ein Akkordeon, verwandelte andererseits Gauthiers Sopran per Oktavierung in ein brillantes Piccolo zum gleichsam „gedämpften Licht“ von Sabine Meyers Girlanden. Stefan Malzews „Weihnachtsgeschichte“ war eine Kette aus unzähligen bekannten Melodien. Es folgte ein dichtes „Air“ aus Johann-Sebastian Bachs Orchester-Suite No. 3 D-Dur (wieder von Pottmeier arrangiert) für das Quartett allein, von Gauthier mit ornamentalen Freiheiten dominiert. Den Schluss bildete Andreas Hilners Suite aus Tschaikowskys „Nussknacker“ mit reizvollen Verfremdungen und weiten Passagen des Tenorsaxofons im Diskant sowie der Klarinette im Schalmeiregister, zum abrupten Ende hin mit viel virtuosem Schwung.

Passend erschien als krönende Zugabe der berühmte Walzer No. 2 aus Schostakowitschs „Suite für Varieté-Orchester“. Mit stehenden Ovationen war das denkwürdige Schauspiel nach etwa zwei Stunden vorbei – und Sabine Meyer wurde zum Ehrenmitglied des Vereins Von Busch Hof Konzertant ernannt.

Sabine Meyer und Alliage Quintett 2025