Julian Steckel

Herr Steckel, vor knapp 3 Jahren war Von-Busch-Hof Konzertant ziemlich mutig, Sie als Solist mit einem Mammutprogramm auftreten zu lassen, nämlich mit dem kompletten Satz der 6 Cellosuiten von  J. S. Bach an einem Konzertabend. Das Programm dauerte gut 3 Stunden, inklusive 2 Pausen. Können Sie sich erinnern?

Steckel: Ja, natürlich. Man bekommt nicht oft Gelegenheit, diese Meisterwerke komplett aufführen zu können. Und es zeigt, dass Von-Busch-Hof Konzertant offen für eine ungewöhnliche Programmgestaltung ist. Ich hatte aber den Eindruck, dass das Konzert durchaus bei den Besuchern ankam.

 Mehr als das!  Es war eines der Konzerte, das vielen Besuchern sehr nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Da saß ein Mitdreißiger allein mit seinem Cello auf der Bühne, hatte keine Noten vor sich und trug diese schwierigen Stücke auswendig, mit einer Mischung aus höchster Konzentration und spielerischer Leichtigkeit vor. Man konnte diese Konzentration förmlich im Raum spüren. Es war vermutlich eine dieser Situationen, die in Ihrer Biografie auf Ihrer Homepage www.juliansteckel.com/de  wie folgt beschrieben wird:

Musik entsteht aus einer Erfüllung. Das Publikum spürt, ob auf der Bühne jemand empfindet, was er ausdrückt, oder imitiert, was er glaubt, empfinden zu müssen. Julian Steckel spielt wie jemand, der etwas Lebendiges zu teilen hat. „Als Interpret vertraue ich meiner inneren Landschaft immer mehr und lasse das Publikum hinein. Es ist eine Verwundbarkeit, die einen letztlich aber stärker macht.“

Herr Steckel, lassen Sie uns kurz Ihre Biografie aufzeichnen:

Steckel: Geboren  bin ich 1982 in Pirmasens; meine Eltern sind beide Musiker und Musikpädagogen. Mit 5 Jahren begann der entscheidende und prägende Cellounterricht bei Ulrich Voss; später studierte ich bei Gustav Rivinius, Boris Pergamenschikow, Heinrich Schiff und Antje Weithaas. Der wohl üblichen „Jugend musiziert“- Karriere folgten diverse andere Preise (Casals 2004, Rostropowitsch 2005, ARD 2010). Eigentlich würde mir als Biographie aber reichen: „Julian Steckel spielt Cello“. Diese Preise sind so lange her, das spielt für mich überhaupt keine Rolle mehr.

Ich war dann von 2011 bis 2017 auf einer Professur an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock und unterrichte seit fünf Jahren in gleicher Funktion an der Hochschule für Musik und Theater in München.

Wie muss man sich die Arbeit eines Hochschullehrers in einer solchen Funktion vorstellen? Sicherlich nicht bei einer Vorlesung im großen Hörsaal, sondern eher als Arbeiten in kleinen Gruppen oder gar Einzelunterricht, oder?

Steckel: Ja, das ist intensiv und ein direktes Gegenüber von Studierendem und mir. Man trifft sich einmal wöchentlich oder nach Bedarf, das kommt immer etwas auf die Situation an. Ich habe ganz junge Cellisten und Cellistinnen, die engmaschigere Betreuung brauchen, aber auch solche, die schon eine Karriere haben und nur zu Besuch kommen, wenn sie mich brauchen.

Ihr Werdegang klingt nach einer ziemlich steilen Karriere.

Steckel: Karriere ist etwas, das ich immer weniger erklären kann. Der Klassikmarkt, auf dem ich mich nun mal bewege, hat schon sehr starke und teilweise eigenartige Mechanismen, die mit musikalischer Qualität nicht immer viel zu tun haben. Ich persönlich möchte immer besser werden und mein Bestes geben, aber das heißt in Bezug auf einen bestimmten äußerlichen Erfolg nicht unbedingt etwas. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich meine musikalischen Vorstellungen mit tollen Partnern verwirklichen kann. Man sollte aber nicht zu sehr die Beurteilung der Außenwelt als Maßstab nehmen, das führt nicht weit. Von außen sehen alle nur den Erfolg, den Glanz, und wie der grandiose Musiker und Mensch Lars Vogt es mal ausgedrückt hat: es wird automatisch angenommen, dass wir Musiker aufgrund unserer Leistungen auf der Bühne auch privat Superhelden sind. Als viel jüngerer Mensch dachte ich das natürlich auch… natürlich ist das noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Pleiten (!), Pech (!!) und Pannen (!!!)  gehören mindestens genauso dazu!

Es gibt ja viele Beispiele, wo hochbegabte Nachwuchskünstler nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Was sind die Gründe dafür?

Steckel: Viele Jungstars werden meiner Meinung nach viel zu früh hochgejubelt, da fehlt dann einfach die Substanz. Langsam wachsen wird heute selten zugestanden, und es braucht enormen Charakter, als junger Mensch tollen Konzertangeboten zu widerstehen und Nein zu sagen, wenn die Karotte vor der Nase baumelt. Die Kombination aus zu früh und zu viel geht auch schnell auf die psychische Gesundheit, wenn man sehr jung auf großen Podien steht und dann irgendwann realisiert, auf welcher Wolke man tanzt. Da verhalten sich einige Agenturen und Veranstalter auch unverantwortlich. Es gehört so unglaublich viel Glück dazu, zum „richtigen“ Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, dass man auch gleich akzeptieren kann, dass das eben nicht ganz planbar ist. Das kann einen stressen, aber wenn man das verstanden hat, macht es einen wiederum ganz locker: das Leben und die sogenannte Karriere sind ab einem gewissen Punkt nicht kalkulierbar, und das ist auch ganz schön so. Für spannende, interessante Dinge alles tun, auch bei sich – wenn es klappt, freue ich mich. Wenn nicht, ärgere ich mich – aber immer kürzer.

Herr Steckel, neben Ihrer Lehrtätigkeit konzertieren Sie ja weiterhin nahezu weltweit: Auf wie viele Konzerte kommen Sie da so im Jahr?

Steckel: Ich zähle schon lange nicht mehr! Geschätzt 60…? Früher war mir das viel wichtiger, viel (und natürlich bitte mehr als andere) zu spielen, jetzt nehme ich mehr Zeit für Vor- und Nachfreude. Letztens habe ich an so schönen Orten wie dem Concertgebouw Amsterdam, den Festspielen Schwetzingen, im Teatro Le Fenice in Venedig, Rudolfinum Prag, Bilbao, Konzerthaus Dortmund gespielt, ich bin also gut beschäftigt. Bald gehen auch die Konzerte in Japan und den USA wieder los, da freue ich mich auch drauf.

Sie haben vor ein paar Jahren eine Familie gegründet und haben 2 junge Töchter. Wie lässt sich das mit der beruflichen Situation vereinbaren?

Steckel: Gute Planung, viele Liebe und ein bisschen Spucke und Kompromissfähigkeit! Aber auch Kompromisslosigkeit wie z.B. ein unantastbarer Sommer in unserem Haus an der französischen Atlantikküste.

Mit oder ohne Cello?

Steckel: Mit- aber erstmal steht es in der Ecke. Aber mit einem guten Gefühl für den Wiedereinstieg. Ansonsten bringe ich mich gerne ein, z.B. koche ich alles von Nudeln mit Tomatensoße bis Coq au Riesling (den ich dazu auch gerne trinke).

Ist körperliche Fitness in Ihrem Beruf wichtig?

Steckel: Fitness ist sehr wichtig! Begreift man aber erst, wenn die Fitness weg ist. Ich selber gehe theoretisch ins Fitnessstudio und fahre gerne auf meinen Fahrrädern. Ansonsten Bodenturnen mit den Kindern.

Außer dem Studium von Notentexten; was lesen Sie zur Zeit?

Steckel: Die kleine Raupe Nimmersatt und das Sams. Und, gerade in leider nur homöopathischen Dosen, „Holz fällen“ von Thomas Bernhard.

Kommen wir zum FESTIVAL FREINSHEIM Konzertant und Ihrer Rolle als Artist in Residence: Was macht denn so ein Artist in Residence?

Steckel: Nun, am Ende natürlich Musik. Aber davor ist einiges zu erledigen und eng mit dem Veranstalter abzustimmen. Das heißt in diesem Fall hauptsächlich mit Rainer Schick, dem künstlerischen Leiter des Vereins. Es gilt, zu bestimmten Terminen ein Programm zu erstellen und dafür Künstler zu finden, am besten solche, die man kennt und mag und toll findet. Da die alle einen Tourneeplan haben, ist es notwendig, das sehr frühzeitig zu machen. Ich bin sehr dankbar, dass Rainer und ich so gut klarkommen und er seine vielen Kontakte einbringt, so hat die Planung von weit über einem Jahr richtig Spaß gemacht!

Sie spielen am ersten Abend des Festivals Duos für Cello und Klavier mit Paul Rivinius und spielen Werke von Beethoven. Sie haben offensichtlich mit ihm schon des Öfteren konzertiert. Was schätzen Sie an ihm besonders?

Steckel: Es gibt wenige Musiker, mit denen ich mich sowohl auf – als auch abseits der Bühne so wohl fühle wie mit Paul. Wir kennen uns seit vielen Jahren und vertrauen uns blind. Außerdem spielt er einfach sensationell!

Eine persönliche, nicht ganz ernst gemeinte Frage zum Schluss: Angenommen, wir stellen im Hof des Von-Busch-Hofs einen Whirlpool auf. Würden Sie mit Paul Rivinius nach dem Konzert reinspringen?

Steckel: Haha, sie spielen auf eine Szene an, die etwa 15 Jahre her ist: Paul und ich waren auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert zum Konzertieren- wobei wir mehr in der Sonne lagen… wir ankerten in Sydney vor der sagenhaften Silhouette der Sydney Opera und sind mit einer spendierten Flasche Champagner nachts um zwei in den Whirlpool gesprungen…unser Rockstar-Moment hielt aber nicht lange, wir wurden gleich wieder vertrieben!

Bis nach Sydney muss man aber nicht fahren: ich glaube, die Nachfeier im Restaurantkeller des Von-Busch-Hofs mit den Künstlern und einigen Vereinsmitgliedern und gutem Pfälzer Wein tragen genauso zur Entspannung bei. Darauf freue ich mich jetzt schon.

 

Das Gespräch mit Julian Steckel führte Walter Schunter von Von-Buch-Hof Konzertant