Rezension Neujahrsgala 2023

Der Veranstalter Von Busch-Hof- Konzertant e.V. bedankt sich bei Frau Pohlit und dem Fotografen Herrn Kretzschmar von Die Rheinpfalz für die sehr gute Charakterisierung eines wundervollen Abends

Kultur Regional

Flair der Roaring Twenties

Endlich – nach dem zweimaligen Corona-Frust der vergangenen Jahre durfte sie wieder vom Podium toben, die „Schellack-Sause“, wie Martin Voigt, Cellist und launiger Moderator der Neujahrsgala im ausverkauften Freinsheimer Von-Busch-Hof das Event liebevoll apostrophierte.

Von Gertie Pohlit 
Am Samstagabend war es soweit, konnte das neue Programm „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ genau da an den Start gehen, wo sich das Unterhaltungsorchester auf Exzellenzniveau 2007 aus Mitgliedern der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und weiterer hochrangiger Ensembles gegründet hatte.

Schellack-Orchester – da klingeln innerlich natürlich alle Glocken halbwegs geschichtsaffiner Musikfans und schwingen in Richtung Charleston, Boogie und Schmonzetten à la Zarah Leander. Und in der Tat ist es genau jene Zeit vor 100 Jahren, die die fabelhafte Tanzorchesterformation aus 13 Männern und einer Frau – klingendes Gruppenbild mit Dame – brillant und irgendwie selbstvergessen auferstehen ließ. Eine Art aktueller Retroflucht – verführerisch abgehoben – in den sprichwörtlichen „Tanz auf dem Vulkan“ der sinnlich-verzweifelten 1920er Jahre, ins trotzige „Jetzt erst recht“ und in die kurzzeitige Vision einer grenzen- und gendersprengenden Weltläufigkeit, Laissez-faire und künstlerischer Freiheit, der die famosen Musiker – wer weiß: gerade in diesen Zeiten einfach unverzichtbar – so grandios und mitreißend frönen; die Illusion von Heiterkeit, Slapstick und Sinnlichkeit, derer wir wohl gelegentlich gegen den Alltagsfrust dringend bedürfen.

Viel Humor, aber auch Momente mit TiefgangUnd noch dazu kommen „Spatzenkonzert“-Foxtrott, Tango Argentino und Charleston so fabelhaft raffiniert und sichtlich lustvoll musiziert daher, dass von der keinesfalls leicht zu interpretierenden „Leichten Muse“ doch mutmaßlich Schweres in Schwerelosigkeit verschwebt. Mit einem Wort: hinreißend klangschön für ein Genre wirbt, das gerade in den 20ern des verflossenen Jahrhunderts wahre Perlen leichtfüßiger musikalischer Schöpfung gebar. Evergreens.

Und auf dem Bühnenareal, vor den historisch einwandfrei nachempfundenen Notensäulen der Instrumentalisten, tobte zusätzlich der Bär. Bariton Franz Zimnol, seit geraumer Zeit Leiter des Ensembles, agierte da in bewährter Partnerschaft mit der Sopranistin Elsbeth Reuter und der Chansonsängerin und Schauspielerin Ilona Schulz. Und die drei rockten das Podium auf jeweils eigene Weise; hochprofessionell im Zusammenspiel und zugleich mit liebevoll ironischer Selbstdistanz zum Genre, wie etwa Ilona Schulz in der herrlich komödiantischen Erweiterung des Zarah-Leander-Klassikers „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“.

Federboa, schwarze Netzstrümpfe, Highheels mit Pfennigabsatz und Vatermörderspitze, Fransenfummel und Brillantstirnbad – die Herren, damit die auch einmal vorkommen, im Frack –, Zigarettenspitze, gehalten zwischen Fingern eines mit Spitzen bis über die Ellbogen reichenden Handkleids, Hüftschwung, Erotik … Das Solisten-Trio servierte all diese schillernden Accessoires als Rahmen einer perfekt durchgestylten Performance, die neben sehr viel Humor durchaus auch Tiefgang und Momente des Nachsinnens zuließ.

Ein wirklich perfekt eingespieltes Solistentrio. Tanzend und singend empfahl sich das Trio aufs Beste: Elsbeth Reuter, Operndiva mit ungebrochen wohlklingendem, blitzsauber und unangestrengt gipfelstürmendem Sopran; wann je hat man „La Paloma“ in so hinreißend sehnsuchtsvollem Schmelz gehört?; Ilona Schulz, die sowohl im herben Chanson-Gestus als auch im „Kopfbereich“ ihr Stimmpotential charismatisch einzubringen und überdies mit ausgebuffter Schauspielagogik und viel Witz in Bann zu ziehen vermochte („C’est si bon“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“); schließlich Franz Zimnol, nicht gerade der genretypische Säuseltenor, dafür ein handfester Bariton, der seine Couplets („Was macht ein Mann nicht alles“, „Du stehst nicht im Adressbuch“) in unwiderstehlichen Charme zu kleiden wusste. Und im übrigen perfekt mit den Damen interagierte und musikalisch harmonierte: zum Beispiel bei „Wenn der weiße Flieder“ und „Irgendwo auf der Welt“.

Gespensterzauber, Schlüpfriges im Rahmen vieldeutiger Anspielung und ein rasant und schrittreich aufs Parkett gelegter Charleston – nichts fehlte an diesem Abend im bis zum Dachfirst gefüllten Freinsheimer Festsaal an Flair der Roaring Twenties. Und für den riesigen Beifall gab’s auch noch zwei köstliche Zugaben.

Quelle

Ausgabe Die Rheinpfalz Bad Dürkheimer Zeitung – Nr. 13
Datum Montag, den 16. Januar 2023
Seite 21